und tat, als sei nichts geschehen. Das schien ihm das Beste zu sein nach diesem ganzen Morddebakel. Nicht im Netz rumgurken! Raus aus der Scheinwelt! Lieber solide Quellen erarbeiten! Er las in Büchern, Dissertationen, Zeitschriften, Magazinen. Almanachen, Chroniken und philosophische Jahresschriften. Blätterte rührig mal hier, mal da. Versah Karteikarten mit Zitaten, Signaturen und Codes. Konzentriert arbeitete er im Lichtkegel der Arbeitslampe, bis ihm die Augen brannten.
Sein Handy klingelte. Hastig nahm er den Anruf entgegen.
„Hast du es schon gelesen? Dieser Arnold wird vermisst!“
Es war Udo. Sonst rief er ihn nie auf dem Handy an, aber diese Neuigkeit schien ihm die Ausnahme von der Regel wert.
„Woher weißt du das?“ Edmund kniete halb unter dem Tisch, um die anderen im Lesesaal nicht zu stören.
„Aus der Zeitung! Es steht in der Rundschau!“
Edmund lief zum Zeitungsständer und zerrte die Rundschau heraus. Er fand den Artikel im Regionalen: Das Leben Arnolds wurde ausgebreitet, als ob er schon tot sei (was zwar de facto stimmte, aber Edmund fand es trotzdem nicht angemessen). Dazu das voraussichtliche Datum seines Verschwindens, irgendwann zwischen den Jahren. Sollte er Udo von dem Besuch des Kommissars erzählen? Ihm sagen, dass er verdächtigt wurde? Besser nicht. Erst mal Gras über die Sache wachsen lassen. Später könnte er ihm immer noch darüber berichten.
„Im Netz ist er schon seit einigen Wochen nicht mehr aufgetaucht“, erwiderte er.
„Seltsam“, fand Udo, „Er war doch nicht der Typ, der auf Reisen ging, oder?“
Nein, war er nicht. Arnold war notorischer Daheimbleiber. Einer, der die Welt nur über die Medien erlebte. Entweder Zeitung oder Fernsehen oder Internet. Sein Aktionsradius betrug höchstens 50 Kilometer.
„Er war Freiberufler“, erklärte Edmund trotzdem, „die sind nicht so gebunden wie wir. Kann schon sein, dass er ein paar Tage abgehauen ist. Das Jahr hat ja kaum angefangen. Vielleicht wollte er mal Ruhe vor dem Netz haben.“
Das leuchtete Udo ein.. „Hey, für dich ist es doch gut, dass er weg ist. Wenn ich an die Probleme denke, die du mit ihm hattest! Jetzt bist du den Kerl los. Vielleicht passiert ihm ja unterwegs was!“, juxte Udo.
„Ja, das wäre großartig!“, rief Edmund, einen Tick zu authentisch. Er beeilte sich hinzuzufügen: „Aber Sorgen mache ich mir trotzdem. Er ist ja nicht verkehrt, weißt du.“
Sie verabredeten sich zu ihrem üblichen Sonntagsspaziergang am Main; dann hatte Edmund plötzlich eine Idee: „Wie wäre es – hättest du mal wieder Lust zu einer Motorradtour? Das Wetter ist schön und ich könnte ein wenig Erholung gebrauchen. Berlin musste ich ja leider streichen ...“
Udo sagte sofort zu. Er fand es eine fabelhafte Idee, die Motorräder im Winter aus der Garage zu holen.
„In die Pfalz? Weißenburg?“, schlug Edmund vor.
Der Freund lachte auf. „Eine sentimental journey! Nichts wie los!“
Es wurde eine herrliche Fahrt. Das Wetter war mild, beinahe frühlingshaft. Für ein paar Stunden konnte Edmund Arnold vergessen (auch wenn er auf dem Weg zu ihm war). Schon bei Deidesheim fuhren sie von der Autobahn ab und schlängelten sich über die Deutsche Weinstraße. Der Blick hinüber zum Schwarzwald hinüber war phantastisch. Und überall die Weinberge, überall Wiesen!
Am Deutschen Weintor kehrten sie auf ein Schöppchen ein. In Weißenburg schlenderten sie über den Wochenmarkt. Später fuhren sie mit den Motorrädern in Richtung Bitche. Edmund fand den Weg zu Arnolds Grab ohne Mühe wieder. Als sie sich ihm näherten, traten ihm vor Entsetzen die Augen aus den Höhlen: Arnolds Skelett zeichnete sich als Schattenriss gegen den Horizont ab. Ohne Kopf. Er hielt die Beine übereinandergeschlagen und blickte in die Ebene hinab. Wie Goethe in Italien.
Diese verdammten Flanellhemden hatten sich mit Edmund einen Scherz erlaubt.
Ihm wurde schlecht. Er musste stehenblieben und lehnte sich gegen einen Baumstamm. „Mein Kreislauf ...“ ächzte er.
Udo lachte, magisch von der Aussicht auf die Rheinebene angezogen. Schon stand er auf der Aussichtsplattform und winkte Edmund unter vielen Ahs und Ohs herbei. „Schau dir das an! Das ist sensationell! Was ein Blick!“
Edmund jedoch stürzte in seinem Rücken zu dem Skelett, um es niederzutrampeln.
Aber es stellte sich nur als ein bizarrer Ast heraus, der von einem benachbarten Baum abgebrochen war. In einem Wutanfall riss Edmund ihn hoch, nahm Anlauf und schleuderte ihn hinab ins Tal. Beinahe wäre er hinterher geflogen.
Udo sah ihn verblüfft an, wegen seines Schreis. Er kannte Edmund nur als ausgeglichenen Menschen, der nie Emotionen zeigte. „Wow, toller Wurf!“, rief er bewundernd. Er musste es ihm gleich nachtun, kam aber nicht annähernd so weit wie Edmund.
Edmund sank auf den Boden. „Ich kann nicht mehr!“, rief er. Aber schon drehte er sich um und warf einen argwöhnischen Blick zum Grab. Es war nichts zu sehen. Der Boden sah so aus wie überall.
Er ertrug es nicht, Arnold im Rücken zu haben. Besonders nicht mit Udo.
„Komm, lass uns wieder gehen“, sagte er zu dem Freund, aber der hatte schon angefangen, die Brotzeit auszupacken. Sie hatten sich auf dem Markt in Weißenburg Elsässer Würste besorgt; Ente mit Knoblauch für Udo und Ziege mit Rosmarin für Edmund.
Es wird einem nichts erspart, fluchte Edmund. Wie gern wäre er jetzt allein gewesen! Wäre losgerannt und hätte sich diesen Abhang hinuntergestürzt!
Anobella - 20. Feb, 16:28
Obst- und Gemüseladen. Bei Anobella im Kiez.
Arabischer Kunde (befühlt das Obst, murmelt): Schlechte Qualität ... (schreit) ... Deine Bananen sind erfroren, Kollege!
Der türkische Ladenbesitzer (an seinen Türrahmen gelehnt): Es friert gar nicht! Kamel!
Arabischer Kunde: Keine Farbe! Und die Äpfel! Sie sind gelb!
Türkischer Ladenbesitzer (zu Anobella): Macht mich wahn-sin-nig! (keift den Araber an) Machst du selbst einen Laden auf, kaufst du da!
Arabischer Kunde (keift zurück): Äpfel müssen grün sein!
Türkischer Ladenbesitzer (dunkle Pupillen): In Mesopotamien vielleicht! Aber nicht in Deutschland! Sind gelbrote Äpfel!
Arabischer Kunde: Sind mehlig!
Türkischer Ladenbesitzer (stürzt sich auf den Kunden)
Anobella (muss weiter)
Anobella - 20. Feb, 10:51