Wenn gar nichts anderes geht,
kann man so was machen. Kapitelanfänge aneinanderheften und schauen, ob sie funktionieren. Aufs Blog setzen. Ich weiß nicht warum, aber dann sehen sie ganz anders aus. Wie fremder Text.
1
Ludwig Leichhardt machte im Wiesbadener Präsidium Mittagspause, als eine Mail mit dem Titel Hättest du Lust, dir diesen Kerl ein Minütchen anzusehen? des Kollegen Schorndorf auf den Rechner bingte. Grunzend öffnete er sie. Er hasste Schorndorfs Minütchenmails. Sie bedeuteten, dass der Kollege bei einer Leiche stand, die er loswerden wollte.
2
Während sie auf die Ankunft von Isabelle Straßmann warteten, sahen sich Leichhardt und Jurgeit im Haus um. Im Raucherzimmer spielten sie einige Bälle am Billard, dann fiel ihnen ein, dass die Spurensicherung noch nicht fertig war und ließen es wieder sein. Im Aschenbecher lagen ein paar russische Zigarettenkippen. Daneben stand ein halbleeres Sherryglas, in dem zwei tote Fliege schwammen. Neben einem schwarzen Bakelittelefon fanden sie einen Kalender, in dem nur wenige Termine vermerkt waren. Die Beamten wanderten durch den Salon, der vollgestopft war mit Armsesseln, Ottomanen und Musikinstrumenten. In einer Ecke stand ein geöffneter Bechsteinflügel. Leichhardt spielte ihn kurz an, aber er war verstimmt. An den Wänden hingen bis unter die Decke Aquarelle, Landschaften aus dem Rheingau. Sie trugen alle die Namenszüge unterschiedlicher Von Thielensteins und waren alle unterschiedlich schlecht.
3
Kaum war Leichhardt im Frankfurter Leichenschauhaus eingetroffen, verfrachtete ihn Isabelle in ihr Büro. Bei Todesstrafe schärfte sie ihm ein, ihr Mailprogramm nicht anzurühren, und fuhr ihm den Rechner hoch. Dann ging sie hinüber ins gekachelte Leichenschauhaus. Sein Blick folgte ihr durch die Glastür über mehrere Raumfluchten hinweg. Sie machte das Radio an und ging an die Arbeit. Er setzte sich in ihren dunkelroten Ledersessel und suchte nach einem Stift, um sich Notizen zu machen. Wie immer hatte er keinen. Auch jetzt war er zu faul, um aufzustehen und Isabelle danach zu fragen. Außerdem konnte er sich ihre Antwort lebhaft vorstellen: Meine Güte, warum ziehst du nichtdie Schubladen auf?!
Also zog er die Schublade auf.
4
Manfred Schorndorf war eigentlich ein Mainzer Bub. Vor ein paar Jahren hatte er in einem Wutanfall die rheinlandpfälzische Landeshauptstadt verlassen, weil sie sich seiner Ansicht nach zu defensiv bei dem Besuch des US-Präsidenten verhalten hatte. Die Innenstadt war für Stunden gesperrt gewesen, Hundertschaften von Polizisten waren aufmarschiert, hatten Kanaldeckel verschweißt und den Rhein nach Bomben abgesucht. Schorndorf ließen sie nicht aus seiner Wohnung, Kripoausweis hin oder her. Wie alle anderen musste er in der Kälte auf dem Balkon stehen und durfte dem Präsidentenkorso nur von Weitem zusehen. Eine Woche später kündigte er seine Wohnung und mietete eine Doppelhaushälfte in der Wiesbadener Siedlung Eigene Scholle.
Leichhardt stellte seinen Wagen vor Schorndorfs Haus in der Lahnstraße ab. Durch das gekippte Küchenfenster hörte er die Schorndorfs streiten.
5
„Wie heißt`n das Blog?“, nuschelte Matthias Seelbach. Der Praktikant war grußlos zu seinem Eisschrank gegangen, hatte nach Essen gewühlt und sich mit einem Olivencrostino im Mund an den Schreibtisch gesetzt.
„Guten Morgen, Matthias!“, artikulierte Leichhardt. „Es heißt der Kommissarblog.“
"Das Kommissarblog. So geht´s schon los."
6
Protokolle, Berichte, Fotos, Ausdrucke, Datensammlungen, Kopien. Den ganzen Besprechungstisch hatte Leichhardt damit bedeckt und gehofft, damit für die Abteilungsbesprechung gut aufgestellt zu sein. Der Gesichtsausdruck seines Chefs Otto Hagenmeister signalisierte ihm jedoch das Gegenteil. Wo war die Tatortanalyse, das Täterprofil, der Grundriss des Hauses?
In Nullkommanichts hatte der raus, was alles fehlte.
Schorndorf erkundigte sich gereizt, wie sein Wochenende gewesen war: Schön? Die Familie? Ein Ausflug? Eine Partie Golf?
"Warum antworten Sie mir mit einer Gegenfrage, Herr Schorndorf? Warum antworten Sie mir überhaupt? Ich habe Leichhardt gefragt."
7
Die Pressekonferenz im Von-Thielenstein-Fall war gerade zu Ende gegangen, als Leichhardt aus dem Rheingau zurückkehrte. Ein Pulk Reporter, Hörfunkjournalisten, Kameraleute und Tonmänner wälzte sich durch das Gebäude. Mit einem Ausfallschritt versteckte sich der Kommissar hinter einer Säule. Manfred Schorndorf saß mit einem Reporter von der Mainzer Allgemeinen auf einer Bank. „Glaubstes nicht ... hab ich nach dem Spiel am Samstag noch am Stadion rumgestanden ... die ganze Zeit die tätowierten Geisteskranken im Auge ... kennstes ja ... kommt einer ... gepierct ... Fresse zum Draufschlagen ... kennstes ja ...“, Schorndorf kam in Schorndorfstimmung, „ ... steigt er in sein Auto ... der Kumpel schon auf dem Beifahrersitz ... überall Dosenbier ... 1,8 Promille geschätzt ... lassen wir sie losfahren .... schnappen wir sie vor der Hauptstraße ... begleiten wir sie nach Hechtsheim ... hat der Hooligan einen Harem ... schließt er die Tür auf ... kommen eine Handvoll Weiber raus ... halten mich für Frischfleisch ... alle nackt! Machen sie sich nicht die Mühe, sich anzuziehen ... im Gegenteil ... kriege ich eindeutige Angebote von denen ... klärt der Hooligan die Frauen auf, dass er der Chef im Haus ist und ich von der Kripo.“
Sie lachten und Leichhardt trat hinter der Säule hervor. „Na, wie war die Pressekonferenz?“
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Ludwig Leichhardt machte im Wiesbadener Präsidium Mittagspause, als eine Mail mit dem Titel Hättest du Lust, dir diesen Kerl ein Minütchen anzusehen? des Kollegen Schorndorf auf den Rechner bingte. Grunzend öffnete er sie. Er hasste Schorndorfs Minütchenmails. Sie bedeuteten, dass der Kollege bei einer Leiche stand, die er loswerden wollte.
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Während sie auf die Ankunft von Isabelle Straßmann warteten, sahen sich Leichhardt und Jurgeit im Haus um. Im Raucherzimmer spielten sie einige Bälle am Billard, dann fiel ihnen ein, dass die Spurensicherung noch nicht fertig war und ließen es wieder sein. Im Aschenbecher lagen ein paar russische Zigarettenkippen. Daneben stand ein halbleeres Sherryglas, in dem zwei tote Fliege schwammen. Neben einem schwarzen Bakelittelefon fanden sie einen Kalender, in dem nur wenige Termine vermerkt waren. Die Beamten wanderten durch den Salon, der vollgestopft war mit Armsesseln, Ottomanen und Musikinstrumenten. In einer Ecke stand ein geöffneter Bechsteinflügel. Leichhardt spielte ihn kurz an, aber er war verstimmt. An den Wänden hingen bis unter die Decke Aquarelle, Landschaften aus dem Rheingau. Sie trugen alle die Namenszüge unterschiedlicher Von Thielensteins und waren alle unterschiedlich schlecht.
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Kaum war Leichhardt im Frankfurter Leichenschauhaus eingetroffen, verfrachtete ihn Isabelle in ihr Büro. Bei Todesstrafe schärfte sie ihm ein, ihr Mailprogramm nicht anzurühren, und fuhr ihm den Rechner hoch. Dann ging sie hinüber ins gekachelte Leichenschauhaus. Sein Blick folgte ihr durch die Glastür über mehrere Raumfluchten hinweg. Sie machte das Radio an und ging an die Arbeit. Er setzte sich in ihren dunkelroten Ledersessel und suchte nach einem Stift, um sich Notizen zu machen. Wie immer hatte er keinen. Auch jetzt war er zu faul, um aufzustehen und Isabelle danach zu fragen. Außerdem konnte er sich ihre Antwort lebhaft vorstellen: Meine Güte, warum ziehst du nichtdie Schubladen auf?!
Also zog er die Schublade auf.
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Manfred Schorndorf war eigentlich ein Mainzer Bub. Vor ein paar Jahren hatte er in einem Wutanfall die rheinlandpfälzische Landeshauptstadt verlassen, weil sie sich seiner Ansicht nach zu defensiv bei dem Besuch des US-Präsidenten verhalten hatte. Die Innenstadt war für Stunden gesperrt gewesen, Hundertschaften von Polizisten waren aufmarschiert, hatten Kanaldeckel verschweißt und den Rhein nach Bomben abgesucht. Schorndorf ließen sie nicht aus seiner Wohnung, Kripoausweis hin oder her. Wie alle anderen musste er in der Kälte auf dem Balkon stehen und durfte dem Präsidentenkorso nur von Weitem zusehen. Eine Woche später kündigte er seine Wohnung und mietete eine Doppelhaushälfte in der Wiesbadener Siedlung Eigene Scholle.
Leichhardt stellte seinen Wagen vor Schorndorfs Haus in der Lahnstraße ab. Durch das gekippte Küchenfenster hörte er die Schorndorfs streiten.
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„Wie heißt`n das Blog?“, nuschelte Matthias Seelbach. Der Praktikant war grußlos zu seinem Eisschrank gegangen, hatte nach Essen gewühlt und sich mit einem Olivencrostino im Mund an den Schreibtisch gesetzt.
„Guten Morgen, Matthias!“, artikulierte Leichhardt. „Es heißt der Kommissarblog.“
"Das Kommissarblog. So geht´s schon los."
6
Protokolle, Berichte, Fotos, Ausdrucke, Datensammlungen, Kopien. Den ganzen Besprechungstisch hatte Leichhardt damit bedeckt und gehofft, damit für die Abteilungsbesprechung gut aufgestellt zu sein. Der Gesichtsausdruck seines Chefs Otto Hagenmeister signalisierte ihm jedoch das Gegenteil. Wo war die Tatortanalyse, das Täterprofil, der Grundriss des Hauses?
In Nullkommanichts hatte der raus, was alles fehlte.
Schorndorf erkundigte sich gereizt, wie sein Wochenende gewesen war: Schön? Die Familie? Ein Ausflug? Eine Partie Golf?
"Warum antworten Sie mir mit einer Gegenfrage, Herr Schorndorf? Warum antworten Sie mir überhaupt? Ich habe Leichhardt gefragt."
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Die Pressekonferenz im Von-Thielenstein-Fall war gerade zu Ende gegangen, als Leichhardt aus dem Rheingau zurückkehrte. Ein Pulk Reporter, Hörfunkjournalisten, Kameraleute und Tonmänner wälzte sich durch das Gebäude. Mit einem Ausfallschritt versteckte sich der Kommissar hinter einer Säule. Manfred Schorndorf saß mit einem Reporter von der Mainzer Allgemeinen auf einer Bank. „Glaubstes nicht ... hab ich nach dem Spiel am Samstag noch am Stadion rumgestanden ... die ganze Zeit die tätowierten Geisteskranken im Auge ... kennstes ja ... kommt einer ... gepierct ... Fresse zum Draufschlagen ... kennstes ja ...“, Schorndorf kam in Schorndorfstimmung, „ ... steigt er in sein Auto ... der Kumpel schon auf dem Beifahrersitz ... überall Dosenbier ... 1,8 Promille geschätzt ... lassen wir sie losfahren .... schnappen wir sie vor der Hauptstraße ... begleiten wir sie nach Hechtsheim ... hat der Hooligan einen Harem ... schließt er die Tür auf ... kommen eine Handvoll Weiber raus ... halten mich für Frischfleisch ... alle nackt! Machen sie sich nicht die Mühe, sich anzuziehen ... im Gegenteil ... kriege ich eindeutige Angebote von denen ... klärt der Hooligan die Frauen auf, dass er der Chef im Haus ist und ich von der Kripo.“
Sie lachten und Leichhardt trat hinter der Säule hervor. „Na, wie war die Pressekonferenz?“
Anobella - 7. Dez, 10:29
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