Kinder, fragte Axel
Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. Axel hatte es gern ruhig.
Vor einer Woche waren nebenan neue Leute eingezogen. Sie gaben sich bedeckt, hatten sich ihm noch nicht vorgestellt. Im Gegenteil; Axel hatte den Eindruck, dass sie ihm auswichen. Wenn er vor die Tür trat, verschwanden sie wie die Silberfischchen in ihrem Haus. Einmal meinte er gesehen zu haben, wie die Frau hinter den Vorhängen zurückzuckte, als seine Augen die Fassade absuchten.
Letzte Nacht war Seltsames geschehen. Axel hatte nicht schlafen können – es war Vollmond – und er hatte um halb Zwölf beobachtet, wie die Nachbarn mit zwei Autos davon fuhren, aber nur mit einem zurückkamen. Um Zwei. Es ging Axel ja nichts an – aber das war merkwürdig. Tagsüber sah man von den Leuten nichts und mitten in der Nacht fuhren sie irgendwelche Autos irgendwohin. Simone konnte sagen, was sie wollte: Da drüben war etwas faul.
„Agnes hat gesagt, sie haben zwei Kinder“, meinte Simone gerade und packte die Einkäufe in die Tiefkühltruhe.
Axel stand an die Küchentür gelehnt. „Liebling, wo haben sie die versteckt, im Keller? Ich bitte dich – hast du sie schon gesehen? Oder eine Kinderstimme gehört? Ich nicht.“
Simone interessierte die neue Situation nicht. Es war wie immer – Axel war auf sich allein gestellt, wenn es um Neuzugänge im Quartier ging. Auch Burkhard – er war mit Agnes verheiratet und wohnte im übernächsten Haus – wiegelte ab, als Axel seine Bedenken vortrug.
Simone zuckte mit den Schultern. „Vielleicht kommen die Kinder nach. Es sind Herbstferien, mein Lieber.“
Axel rollte mit den Augen. Hoffentlich nicht. Zwei Kinder – das hätte ihm gerade noch gefehlt. Endlich waren Nina und Robert aus dem Gröbsten raus – sie war dreizehn, er fünfzehn – und es konnte Ruhe in der Straße einkehren. Wozu zog man schließlich ins Grüne?
Der Mann arbeitete nicht; nicht richtig jedenfalls. Wenn Axels Alarmbirnchen nicht schon längst hell geleuchtet hätten – spätestens bei dieser Erkenntnis wären sie rotiert. Sicher, heutzutage gab es einen Haufen Freiberufler; die Computertechnologie ermöglichte viele Heimarbeitsplätze. Auch in ihrem kleinen Quartier lebten einige davon. Ein Redakteur, ein Grafiker, ein IT-ler. Und eine Kampflesbe. Sie betrieb in Mainz eine Karate-Schule. Axel konnte sich kaum merken, wann sie arbeitete; mal vormittags, mal mittags, mal abends. Wenn er ihre Stunden zusammenrechnete, kam er auf höchstens 14 in der Woche, was unter dem Strich nichts anderes bedeutete, als dass sie – grob geschnitzt – von Axels Geld lebte. 34 Prozent Steuern musste er mittlerweile von seinem mageren Beamtengehalt an den Fiskus abführen.
Und jetzt noch dieses Pärchen. Kessler hießen sie. Der Mann war kahlköpfig; das machte ihn in Axels Augen nicht vertrauenswürdiger. Es war diese aggressive Art von Kahlköpfigkeit, die nur Rechte, Kriminelle und Börsenleute zur Schau trugen. Die jeden-Tag-frisch-rasierten-und eingeölten-Kahlköpfe, die Axel nicht aus dem Weg gingen, wenn er den Bürgersteig entlang kam. Erst neulich hatte ihn Simone damit genervt, dass sie das attraktiv fände. Er hatte erwidert, dass sie sich irre, es sei hässlich und vulgär. Axel tippte bei den Neuen auf kriminell. Kleinbürgerlichkriminell, nicht asozialkriminell. Sie opponierten nicht gegen die Gesellschaft (wie die Rechten), sondern machten es sich in einer ihrer Nischen bequem. Jedenfalls stellte er es sich so vor, gesprochen hatte er mit ihnen ja noch nicht. Was nicht an ihm lag, dauernd scharwenzelte er durch seinen Garten und bot sich für ein Gespräch an, aber wie gesagt: Silberfischchenmentalität.
Seit er diese Sache mit den Autos beobachtet hatte, machte er sich Sorgen. Die Nachbarn mussten etwas mit Hehlerei zu tun haben. In der kurzen Zeit, in der sie hier wohnten, hatte der Kahlköpfige schon zwei Mal mit Leuten im Hof um einen neuen Wagen herum gestanden. Einmal war es ein silberner Mercedes gewesen, ein anderes Mal ein schwarzer BMW – also Topware. Sie hatten das übliche Männergespräch geführt, das Axel bei großen Familienzusammenkünften immer so anödete - der Wagen hatte diese Mätzchen und jenen Schnickschnack und das Blablabla. Er hatte nicht alles verstanden, obwohl er seine Liege so dicht an die Hecke gezogen hatte, wie es ging; die Besucher hatten einen unverständlichen schwäbischen Dialekt gehabt.
Als dann ein paar Tage später diese Nachtaktion gelaufen war, war es Axel wie Schuppen von den Augen gefallen: Sie vertickten den Benz über die Grenze nach Frankreich. Wahrscheinlich – Axel hob den Finger, als er es Simone erklärte – hatte es etwas mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer zu tun!
Nachts konnte er jetzt nicht mehr schlafen. Während seine Frau friedlich vor sich hinschnarchte (als sei die Erde eine Scheibe), malte er sich aus, dass die Nachbarn Mitglieder einer international aktiven Autobande waren, die sich gegenseitig bekriegten und Territorialkämpfe ausführten. Wahrscheinlich waren Kesslers hier herausgezogen, um ihren Claim abzustecken.
Aber was, wenn sie den Rivalen ein Dorn im Auge waren? Was, wenn Axels Familie in den Konflikt hineingezogen wurde? Wenn die rivalisierende Bande sich im Haus irrte – an diesem Punkt seiner Überlegungen saß Axel aufrecht im Bett – und aus Versehen ihn und Simone im Bett erschossen? Solche Dinge las er täglich in der Zeitung.
„Du lachst“, sagte er düster zu Burkhard, „aber denk an meine Worte, wenn es in der Bildzeitung steht.“
Vorsichtshalber nahm er Kontakt mit der Polizei auf. Man konnte mit einem Beamten eine kostenfreie Sicherheitsbegehung ums Haus machen, sie machten einen auf Schwachstellen aufmerksam. Bei Axel fanden sie viele: Das Gelände war nicht gesichert, die Haustür nicht, die Fenster nicht. Pluspunkte konnte er nur mit seinem Bewegungsmelder und seinem Hund machen. Sie drückten ihm eine Broschüre in die Hand, in der sündhaft teure Sicherheitssysteme angeboten wurden mit einer Liste von Handwerkerfirmen, die ihrer Meinung nach solide Arbeit in diesem Bereich leisteten (Axel wollte lieber nicht wissen, wieviel Geld die Firmen der Polizei bezahlt hatten, damit sie auf die Liste kamen).
Eines Nachmittags lagen die Nachbarn im Garten und sonnten sich (so viel zum Thema da kommen noch Kinder nach – sie ließen es sich gutgehen). Axel entschied spontan, seine Kirschlorbeerhecke nachzujustieren. Vielleicht ließ sich ja so endlich ein Gespräch anknüpfen. Mit Gepruste und Geschepper schleppte er seine Metall-Leiter heran – die er zur Beschneidung der Hecke gar nicht brauchte. Aber er konnte mit ihr besser auf die andere Seite sehen und baute sie auf. Dann kletterte er rauf und runter und machte und tat und bot sich den Nachbarn wie Frischfleisch auf dem Viehmarkt an: Aber nichts passierte. Sie wollten unter sich bleiben. Auch als Axel von seiner Plattform aus seinen Labrador zusammenbrüllte, der in seinem nachmittäglichen Hitzerappel Kurs auf den Goldfischteich nehmen wollte, um sich darin abzukühlen, war bei den beiden drüben keine Reaktion zu erkennen.
Er sah sowieso nur ihre Beine. Unzufrieden stieg er hinab und begann, ein kleines Loch in die Hecke zu schneiden. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie dann nicht besser zu verstehen wären. Aber Axel setzte das Loch zu hoch an und als er nach viel Fiddelei endlich hindurch sehen konnte, bekam er nur Burkhards Terrasse ins Visier. Also versuchte er es ein Stück tiefer, fast ebenerdig. Dann kniete er auf dem Rasen und wagte einen ersten Blick.
„Was um Himmels Willen machst du da, Axel?“, hörte er die Stimme seiner Frau.
Hastig richtete er sich auf und drehte sich um. Simone stand da mit fragendem Blick, die Kinder rechts und links im Arm.
„Was mache ich!“, lächelte er in die Runde. „Da waren braune Stellen in der Hecke.“ (Zugegeben keine plausible Antwort, Axels Kirschlorbeerhecke war die gepflegteste und gesündeste in der ganzen Siedlung; sein Stolz).
Robert wusste es besser. „Du machst Löcher rein, damit du besser zu den Nachbarn spannen kannst“, frotzelte er.
„Ich verbiete dir, so mit deinem Vater zu sprechen!“, wies Axel den Jungen zurecht, aber insgeheim freute es ihn, dass er sich nicht so leicht hinters Licht führen ließ.
Tags drauf war es so weit. Axel und Simone machten gerade ihren obligatorischen Abendspaziergang mit dem Hund, als ihnen die Neuen auf einem kleinen Waldweg entgegenkamen. Ein Ausweichen war unmöglich. Unwillkürlich drückte Axel Simones Hand fester: Jetzt galt es. Oder würden diese Leute die Unverschämtheit besitzen, grußlos an ihnen vorüber zu gehen?
„Sie lachen“, sagte Simone (gestern hatte Axel ihnen unterstellt, dass sie nie lachten).
Er hatte es auch gesehen, aber er hielt es für Tarnung. Sie taten unbeschwert, um ihnen Sand ins Auge zu streuen. Verdrossen sah er seinen Hund ihnen schwanzwedelnd entgegenrennen.
Der Kahlköpfige streichelte ihn und ergriff herzlich Simones Hand. „Dass wir Sie hier treffen!“
Axel sah sich seinerseits genötigt, seiner Nachbarin die Hand zu geben. Was war das für ein blöder Spruch – Dass wir Sie hier treffen! Sie sahen sich jeden Tag auf dem Nachbargrundstück!
„Wir machen ein Einweihungsfest nächstes Wochenende!“, sagte die Frau zu ihm, „Sie haben doch hoffentlich Zeit, herüber zu kommen?“
Wann hatten diese Leute vorgehabt, sie zu fragen – eine Stunde vorher? Axel wiegte mit dem Kopf, aber Simone sagte schon zu. Sie hatte die Nachbarin schon am Arm und schnatterte mit ihr über die Kinder. Ja, sie hätten zwei, sagte die Nachbarin, sie würden Freitag Nachmittag kommen, waren noch bei den Großeltern in den Herbstferien. Zwei Mädchen. Sechs und sieben.
Augenverdrehend hörte Axel der Unterhaltung zu. Es würde ihm auf ewig ein Rätsel bleiben, wie Frauen es innerhalb von Sekundenschnelle fertig brachten, Arm in Arm dazustehen und Intimitäten auszutauschen. Simones Selbstschutzmechanismen waren gleich Null; sie fiel auf jeden rein, der ein freundliches Wort an sie richtete.
Er betrachtete den Kahlköpfigen, dessen Schädel wie ein Osterei in der Abendsonne glänzte.
Er reichte ihm die Hand. „Axel. Das ist Simone.“ Förmlich zeigte er auf seine Frau.
Der Kahlköpfige schlug sich gegen die Stirn. „Verzeihen Sie! Mein Name ist Tom und das ist Ellen, meine Lebenspartnerin.“
Wie manieriert Axel das fand: Lebenspartnerin! Warum heirateten sie nicht? Ihren Töchtern hätte es auch gutgetan, sich vor Freunden nicht ständig rechtfertigen zu müssen, warum ihre Eltern nicht verheiratet waren.
„Wir sind von Frankreich nach Deutschland gezogen, waren ein paar Jahre Straßburg. Jetzt wollen wir wegen der Kinder in einer ruhigeren Umgebung wohnen, Sie verstehen! Hier ist ein bisschen ländlicher.“
Axel nickte. Natürlich verstand er. Sie hatten eine gute Wahl getroffen. Er hatte auch keine Probleme damit, solange sie nicht ihre kriminelle Bekanntschaft ins Quartier lockten.
„Was haben Sie in Straßburg gemacht – ich meine beruflich?“
Axel beugte sich zu seinem Hund hinunter und streichelte ihm den Kopf.
„Bei der EU gearbeitet – in einem Ausschuss für Sicherheitsfragen. Schengener Abkommen und so. Jetzt bin ich wieder ans BKA zurück. Es waren wie gesagt nur ein paar Jahre.“
Als sie allein weiter schlenderten, sagte seine Frau: „BKA, hm?“
„Nicht, Simone“, antwortete Axel knapp. „Lass es.“
Außerdem: Vielleicht log der ja.
Kesslers waren nett, musste Axel nach dem Wochenende einräumen. Sie lernten viele neue Leute auf der Party kennen, mit denen die Unterhaltung eine Bereicherung war (das kannte Axel auch anders). Er blickte immer noch nicht genau durch, was Tom im BKA eigentlich machte. Er durfte nicht drüber reden. Etwas mysteriös war er also nach wie vor und Axel vermutete, es hatte etwas mit dieser nächtlichen Autotransaktion zu tun, für die es immer noch keine griffige Erklärung gab. Aber er wollte nicht schon wieder damit anfangen. Jedenfalls fand Axel es gut, dass Tom eine Waffe hatte. Das würde das Viertel sicherer machen.
Oder nicht?
Vor einer Woche waren nebenan neue Leute eingezogen. Sie gaben sich bedeckt, hatten sich ihm noch nicht vorgestellt. Im Gegenteil; Axel hatte den Eindruck, dass sie ihm auswichen. Wenn er vor die Tür trat, verschwanden sie wie die Silberfischchen in ihrem Haus. Einmal meinte er gesehen zu haben, wie die Frau hinter den Vorhängen zurückzuckte, als seine Augen die Fassade absuchten.
Letzte Nacht war Seltsames geschehen. Axel hatte nicht schlafen können – es war Vollmond – und er hatte um halb Zwölf beobachtet, wie die Nachbarn mit zwei Autos davon fuhren, aber nur mit einem zurückkamen. Um Zwei. Es ging Axel ja nichts an – aber das war merkwürdig. Tagsüber sah man von den Leuten nichts und mitten in der Nacht fuhren sie irgendwelche Autos irgendwohin. Simone konnte sagen, was sie wollte: Da drüben war etwas faul.
„Agnes hat gesagt, sie haben zwei Kinder“, meinte Simone gerade und packte die Einkäufe in die Tiefkühltruhe.
Axel stand an die Küchentür gelehnt. „Liebling, wo haben sie die versteckt, im Keller? Ich bitte dich – hast du sie schon gesehen? Oder eine Kinderstimme gehört? Ich nicht.“
Simone interessierte die neue Situation nicht. Es war wie immer – Axel war auf sich allein gestellt, wenn es um Neuzugänge im Quartier ging. Auch Burkhard – er war mit Agnes verheiratet und wohnte im übernächsten Haus – wiegelte ab, als Axel seine Bedenken vortrug.
Simone zuckte mit den Schultern. „Vielleicht kommen die Kinder nach. Es sind Herbstferien, mein Lieber.“
Axel rollte mit den Augen. Hoffentlich nicht. Zwei Kinder – das hätte ihm gerade noch gefehlt. Endlich waren Nina und Robert aus dem Gröbsten raus – sie war dreizehn, er fünfzehn – und es konnte Ruhe in der Straße einkehren. Wozu zog man schließlich ins Grüne?
Der Mann arbeitete nicht; nicht richtig jedenfalls. Wenn Axels Alarmbirnchen nicht schon längst hell geleuchtet hätten – spätestens bei dieser Erkenntnis wären sie rotiert. Sicher, heutzutage gab es einen Haufen Freiberufler; die Computertechnologie ermöglichte viele Heimarbeitsplätze. Auch in ihrem kleinen Quartier lebten einige davon. Ein Redakteur, ein Grafiker, ein IT-ler. Und eine Kampflesbe. Sie betrieb in Mainz eine Karate-Schule. Axel konnte sich kaum merken, wann sie arbeitete; mal vormittags, mal mittags, mal abends. Wenn er ihre Stunden zusammenrechnete, kam er auf höchstens 14 in der Woche, was unter dem Strich nichts anderes bedeutete, als dass sie – grob geschnitzt – von Axels Geld lebte. 34 Prozent Steuern musste er mittlerweile von seinem mageren Beamtengehalt an den Fiskus abführen.
Und jetzt noch dieses Pärchen. Kessler hießen sie. Der Mann war kahlköpfig; das machte ihn in Axels Augen nicht vertrauenswürdiger. Es war diese aggressive Art von Kahlköpfigkeit, die nur Rechte, Kriminelle und Börsenleute zur Schau trugen. Die jeden-Tag-frisch-rasierten-und eingeölten-Kahlköpfe, die Axel nicht aus dem Weg gingen, wenn er den Bürgersteig entlang kam. Erst neulich hatte ihn Simone damit genervt, dass sie das attraktiv fände. Er hatte erwidert, dass sie sich irre, es sei hässlich und vulgär. Axel tippte bei den Neuen auf kriminell. Kleinbürgerlichkriminell, nicht asozialkriminell. Sie opponierten nicht gegen die Gesellschaft (wie die Rechten), sondern machten es sich in einer ihrer Nischen bequem. Jedenfalls stellte er es sich so vor, gesprochen hatte er mit ihnen ja noch nicht. Was nicht an ihm lag, dauernd scharwenzelte er durch seinen Garten und bot sich für ein Gespräch an, aber wie gesagt: Silberfischchenmentalität.
Seit er diese Sache mit den Autos beobachtet hatte, machte er sich Sorgen. Die Nachbarn mussten etwas mit Hehlerei zu tun haben. In der kurzen Zeit, in der sie hier wohnten, hatte der Kahlköpfige schon zwei Mal mit Leuten im Hof um einen neuen Wagen herum gestanden. Einmal war es ein silberner Mercedes gewesen, ein anderes Mal ein schwarzer BMW – also Topware. Sie hatten das übliche Männergespräch geführt, das Axel bei großen Familienzusammenkünften immer so anödete - der Wagen hatte diese Mätzchen und jenen Schnickschnack und das Blablabla. Er hatte nicht alles verstanden, obwohl er seine Liege so dicht an die Hecke gezogen hatte, wie es ging; die Besucher hatten einen unverständlichen schwäbischen Dialekt gehabt.
Als dann ein paar Tage später diese Nachtaktion gelaufen war, war es Axel wie Schuppen von den Augen gefallen: Sie vertickten den Benz über die Grenze nach Frankreich. Wahrscheinlich – Axel hob den Finger, als er es Simone erklärte – hatte es etwas mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer zu tun!
Nachts konnte er jetzt nicht mehr schlafen. Während seine Frau friedlich vor sich hinschnarchte (als sei die Erde eine Scheibe), malte er sich aus, dass die Nachbarn Mitglieder einer international aktiven Autobande waren, die sich gegenseitig bekriegten und Territorialkämpfe ausführten. Wahrscheinlich waren Kesslers hier herausgezogen, um ihren Claim abzustecken.
Aber was, wenn sie den Rivalen ein Dorn im Auge waren? Was, wenn Axels Familie in den Konflikt hineingezogen wurde? Wenn die rivalisierende Bande sich im Haus irrte – an diesem Punkt seiner Überlegungen saß Axel aufrecht im Bett – und aus Versehen ihn und Simone im Bett erschossen? Solche Dinge las er täglich in der Zeitung.
„Du lachst“, sagte er düster zu Burkhard, „aber denk an meine Worte, wenn es in der Bildzeitung steht.“
Vorsichtshalber nahm er Kontakt mit der Polizei auf. Man konnte mit einem Beamten eine kostenfreie Sicherheitsbegehung ums Haus machen, sie machten einen auf Schwachstellen aufmerksam. Bei Axel fanden sie viele: Das Gelände war nicht gesichert, die Haustür nicht, die Fenster nicht. Pluspunkte konnte er nur mit seinem Bewegungsmelder und seinem Hund machen. Sie drückten ihm eine Broschüre in die Hand, in der sündhaft teure Sicherheitssysteme angeboten wurden mit einer Liste von Handwerkerfirmen, die ihrer Meinung nach solide Arbeit in diesem Bereich leisteten (Axel wollte lieber nicht wissen, wieviel Geld die Firmen der Polizei bezahlt hatten, damit sie auf die Liste kamen).
Eines Nachmittags lagen die Nachbarn im Garten und sonnten sich (so viel zum Thema da kommen noch Kinder nach – sie ließen es sich gutgehen). Axel entschied spontan, seine Kirschlorbeerhecke nachzujustieren. Vielleicht ließ sich ja so endlich ein Gespräch anknüpfen. Mit Gepruste und Geschepper schleppte er seine Metall-Leiter heran – die er zur Beschneidung der Hecke gar nicht brauchte. Aber er konnte mit ihr besser auf die andere Seite sehen und baute sie auf. Dann kletterte er rauf und runter und machte und tat und bot sich den Nachbarn wie Frischfleisch auf dem Viehmarkt an: Aber nichts passierte. Sie wollten unter sich bleiben. Auch als Axel von seiner Plattform aus seinen Labrador zusammenbrüllte, der in seinem nachmittäglichen Hitzerappel Kurs auf den Goldfischteich nehmen wollte, um sich darin abzukühlen, war bei den beiden drüben keine Reaktion zu erkennen.
Er sah sowieso nur ihre Beine. Unzufrieden stieg er hinab und begann, ein kleines Loch in die Hecke zu schneiden. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie dann nicht besser zu verstehen wären. Aber Axel setzte das Loch zu hoch an und als er nach viel Fiddelei endlich hindurch sehen konnte, bekam er nur Burkhards Terrasse ins Visier. Also versuchte er es ein Stück tiefer, fast ebenerdig. Dann kniete er auf dem Rasen und wagte einen ersten Blick.
„Was um Himmels Willen machst du da, Axel?“, hörte er die Stimme seiner Frau.
Hastig richtete er sich auf und drehte sich um. Simone stand da mit fragendem Blick, die Kinder rechts und links im Arm.
„Was mache ich!“, lächelte er in die Runde. „Da waren braune Stellen in der Hecke.“ (Zugegeben keine plausible Antwort, Axels Kirschlorbeerhecke war die gepflegteste und gesündeste in der ganzen Siedlung; sein Stolz).
Robert wusste es besser. „Du machst Löcher rein, damit du besser zu den Nachbarn spannen kannst“, frotzelte er.
„Ich verbiete dir, so mit deinem Vater zu sprechen!“, wies Axel den Jungen zurecht, aber insgeheim freute es ihn, dass er sich nicht so leicht hinters Licht führen ließ.
Tags drauf war es so weit. Axel und Simone machten gerade ihren obligatorischen Abendspaziergang mit dem Hund, als ihnen die Neuen auf einem kleinen Waldweg entgegenkamen. Ein Ausweichen war unmöglich. Unwillkürlich drückte Axel Simones Hand fester: Jetzt galt es. Oder würden diese Leute die Unverschämtheit besitzen, grußlos an ihnen vorüber zu gehen?
„Sie lachen“, sagte Simone (gestern hatte Axel ihnen unterstellt, dass sie nie lachten).
Er hatte es auch gesehen, aber er hielt es für Tarnung. Sie taten unbeschwert, um ihnen Sand ins Auge zu streuen. Verdrossen sah er seinen Hund ihnen schwanzwedelnd entgegenrennen.
Der Kahlköpfige streichelte ihn und ergriff herzlich Simones Hand. „Dass wir Sie hier treffen!“
Axel sah sich seinerseits genötigt, seiner Nachbarin die Hand zu geben. Was war das für ein blöder Spruch – Dass wir Sie hier treffen! Sie sahen sich jeden Tag auf dem Nachbargrundstück!
„Wir machen ein Einweihungsfest nächstes Wochenende!“, sagte die Frau zu ihm, „Sie haben doch hoffentlich Zeit, herüber zu kommen?“
Wann hatten diese Leute vorgehabt, sie zu fragen – eine Stunde vorher? Axel wiegte mit dem Kopf, aber Simone sagte schon zu. Sie hatte die Nachbarin schon am Arm und schnatterte mit ihr über die Kinder. Ja, sie hätten zwei, sagte die Nachbarin, sie würden Freitag Nachmittag kommen, waren noch bei den Großeltern in den Herbstferien. Zwei Mädchen. Sechs und sieben.
Augenverdrehend hörte Axel der Unterhaltung zu. Es würde ihm auf ewig ein Rätsel bleiben, wie Frauen es innerhalb von Sekundenschnelle fertig brachten, Arm in Arm dazustehen und Intimitäten auszutauschen. Simones Selbstschutzmechanismen waren gleich Null; sie fiel auf jeden rein, der ein freundliches Wort an sie richtete.
Er betrachtete den Kahlköpfigen, dessen Schädel wie ein Osterei in der Abendsonne glänzte.
Er reichte ihm die Hand. „Axel. Das ist Simone.“ Förmlich zeigte er auf seine Frau.
Der Kahlköpfige schlug sich gegen die Stirn. „Verzeihen Sie! Mein Name ist Tom und das ist Ellen, meine Lebenspartnerin.“
Wie manieriert Axel das fand: Lebenspartnerin! Warum heirateten sie nicht? Ihren Töchtern hätte es auch gutgetan, sich vor Freunden nicht ständig rechtfertigen zu müssen, warum ihre Eltern nicht verheiratet waren.
„Wir sind von Frankreich nach Deutschland gezogen, waren ein paar Jahre Straßburg. Jetzt wollen wir wegen der Kinder in einer ruhigeren Umgebung wohnen, Sie verstehen! Hier ist ein bisschen ländlicher.“
Axel nickte. Natürlich verstand er. Sie hatten eine gute Wahl getroffen. Er hatte auch keine Probleme damit, solange sie nicht ihre kriminelle Bekanntschaft ins Quartier lockten.
„Was haben Sie in Straßburg gemacht – ich meine beruflich?“
Axel beugte sich zu seinem Hund hinunter und streichelte ihm den Kopf.
„Bei der EU gearbeitet – in einem Ausschuss für Sicherheitsfragen. Schengener Abkommen und so. Jetzt bin ich wieder ans BKA zurück. Es waren wie gesagt nur ein paar Jahre.“
Als sie allein weiter schlenderten, sagte seine Frau: „BKA, hm?“
„Nicht, Simone“, antwortete Axel knapp. „Lass es.“
Außerdem: Vielleicht log der ja.
Kesslers waren nett, musste Axel nach dem Wochenende einräumen. Sie lernten viele neue Leute auf der Party kennen, mit denen die Unterhaltung eine Bereicherung war (das kannte Axel auch anders). Er blickte immer noch nicht genau durch, was Tom im BKA eigentlich machte. Er durfte nicht drüber reden. Etwas mysteriös war er also nach wie vor und Axel vermutete, es hatte etwas mit dieser nächtlichen Autotransaktion zu tun, für die es immer noch keine griffige Erklärung gab. Aber er wollte nicht schon wieder damit anfangen. Jedenfalls fand Axel es gut, dass Tom eine Waffe hatte. Das würde das Viertel sicherer machen.
Oder nicht?
Anobella - 4. Mai, 18:26
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