Gestern habe ich Willi kennengelernt.
Er hält mich auf der Treppe auf (ganz schlecht. ich immer unkonzentriert, da mich fünf Leute gleichzeitig anquatschen). „Anobella? Ich heiße Willi und bin neu ... und kann kein Englisch.“ Er hält die Luft an. Ich lache. „Willi, das kann nicht sein, alle haben in der Schule Englisch!“ Ich sortiere an meinen schlampigen Kopien rum. „Ich schwör´s, ich nicht.“ Ich schicke ihn zu den anderen und sag ihm, ich kümmere mich drum. Dann gehe ich zu der zuständigen Sozialpädagogin. „Willi sagt, er kann kein Englisch.“ „Richtig, der war auf der Sonderschule.“ Sonderschule kein Englisch. Wäre okay, wenn auf der Sonderschule nur Deppen säßen, ist aber nicht so. Da sitzen auch die, die sich schlecht konzentrieren könnenund unter katastrophalen familiären Verhältnissen aufgewachsen sind undundund. „Maria hat auch keinen Englischunterricht gehabt, als Nichtschülerin.“ „Was ist denn eine Nichtschülerin?!“, explodiere ich. Ich schaue mir ihr Abschlusszeugnis an, da steht´s: Nichtschülerin. Hauptschulabschluss einer Nichtschülerin. Damit jedem gleich ins Augen fällt, dass er´s mit nem Sozialfall zu tun hat. (Nichtschüler sind die, die extern Hauptschulabschlüsse machen – Nichtschüler eben.)
„Setzt euch“, sag ich zur Klasse, „und Willi, Sie nehmen zwischen Nadja und Maria.“ Willi schaut mich groß an, er hatte ein Platz rechts am Rand angepeilt und nicht zwischen den beiden bestaussehenden Mädchen des Kurses. „Die können Englisch und Sie schreiben ab.“ Ich verschwinde hinter meinem Bildschirm, die Schüler auch. Männer haben wir wenig, einen aus Afrika, einen Kurden, einen Georgier, alle Realschulabschluss, alle fit. Die klicken sich gleich ins Netz und chatten rum. Macht nix, bis alle immer fertig sind, dauert es Stunden. Willi sitzt mit rotem Kopp also zwischen Nadja (halbe US-Amerikanerin) und Maria (halbe Griechin). Irgendwann, nachdem endlich alle Rechner hochgefahren sind, fange ich an. 10 englische Fragen, ich diktiere auf Englisch, sie übersetzen auf Deutsch. „Willi, hauen Sie in die Tasten!“, rufe ich ihm zu, er sieht lustig aus, ich mag ihn, und da die Mädchen ihn nicht umbringen, sondern immer schauen, dass er alles richtig schreibt, gewinnt er an Selbstvertrauen. „Willi, sind Sie im Praktikum?“, frage ich zwischen der Diktiererei. Er nickt tippend. „Beim Bäcker. Der Fleischer hat pleite gemacht.“ Eine Frage geht um Kinder: Wenn ihr Kinder hättet, fändet ihr eine gute Ausbildung wichtig? (Die Fangfrage schlechthin, weil das alle großmäulig wichtig finden und sich danach nicht mehr rausreden können, sie hätten keine Lust auf meinen Unterricht) Große Diskussion fängt in der Klasse an, ob wer wieviel Kinder will. „Und, Willi“, frage ich, „wollen Sie mal Kinder haben?“ Er tippt. „Ich hab zwei.“ Zwölf Augenpaare richten sich erstaunt auf ihn. „Zwei Kinder, Willi? Saubere Leistung!“ Er kriegt Szenenapplaus. „Der ältere geht jetzt in die Schule ... “ "Was, so alt schon, Willi?" Natürlich hat er viel vor mit seinen Buben, die entwickeln sich gut, sagt er und seine Freundin will auch bald arbeiten gehen. Von jetzt an ist er der Star, alle sagen ihm, er soll sie heiraten, wegen Liebe mal sowieso und auch wegen Steuern. etc. . Nadja und Maria sind ganz wild auf ihn jetzt ihn und fummeln ihm dauernd von links und rechts grundlos auf der Tastatur rum und AUCH die leidige Klippe, dass er der einzige Deutsche im Kurs ist, ist umschifft.
Netter Typ, Willi.
„Setzt euch“, sag ich zur Klasse, „und Willi, Sie nehmen zwischen Nadja und Maria.“ Willi schaut mich groß an, er hatte ein Platz rechts am Rand angepeilt und nicht zwischen den beiden bestaussehenden Mädchen des Kurses. „Die können Englisch und Sie schreiben ab.“ Ich verschwinde hinter meinem Bildschirm, die Schüler auch. Männer haben wir wenig, einen aus Afrika, einen Kurden, einen Georgier, alle Realschulabschluss, alle fit. Die klicken sich gleich ins Netz und chatten rum. Macht nix, bis alle immer fertig sind, dauert es Stunden. Willi sitzt mit rotem Kopp also zwischen Nadja (halbe US-Amerikanerin) und Maria (halbe Griechin). Irgendwann, nachdem endlich alle Rechner hochgefahren sind, fange ich an. 10 englische Fragen, ich diktiere auf Englisch, sie übersetzen auf Deutsch. „Willi, hauen Sie in die Tasten!“, rufe ich ihm zu, er sieht lustig aus, ich mag ihn, und da die Mädchen ihn nicht umbringen, sondern immer schauen, dass er alles richtig schreibt, gewinnt er an Selbstvertrauen. „Willi, sind Sie im Praktikum?“, frage ich zwischen der Diktiererei. Er nickt tippend. „Beim Bäcker. Der Fleischer hat pleite gemacht.“ Eine Frage geht um Kinder: Wenn ihr Kinder hättet, fändet ihr eine gute Ausbildung wichtig? (Die Fangfrage schlechthin, weil das alle großmäulig wichtig finden und sich danach nicht mehr rausreden können, sie hätten keine Lust auf meinen Unterricht) Große Diskussion fängt in der Klasse an, ob wer wieviel Kinder will. „Und, Willi“, frage ich, „wollen Sie mal Kinder haben?“ Er tippt. „Ich hab zwei.“ Zwölf Augenpaare richten sich erstaunt auf ihn. „Zwei Kinder, Willi? Saubere Leistung!“ Er kriegt Szenenapplaus. „Der ältere geht jetzt in die Schule ... “ "Was, so alt schon, Willi?" Natürlich hat er viel vor mit seinen Buben, die entwickeln sich gut, sagt er und seine Freundin will auch bald arbeiten gehen. Von jetzt an ist er der Star, alle sagen ihm, er soll sie heiraten, wegen Liebe mal sowieso und auch wegen Steuern. etc. . Nadja und Maria sind ganz wild auf ihn jetzt ihn und fummeln ihm dauernd von links und rechts grundlos auf der Tastatur rum und AUCH die leidige Klippe, dass er der einzige Deutsche im Kurs ist, ist umschifft.
Netter Typ, Willi.
Anobella - 25. Aug, 07:53