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Fufu, der kleine Papagei
Eines schönen Spätsommertages entflog Fufu, ein kleiner grüner Papagei, aus seinem Käfig. Er hatte seine Flucht lange geplant und saß nun unter einem Johannisbeerstrauch und fraß sich erst mal satt. Nach einiger Zeit begann er, sich Sorgen zu machen. In einigen Monaten würde der Winter kommen mit Schnee und Eis und Hagel. Was sollte dann aus ihm werden? Ein Papagei war nicht dazu geschaffen, mitteleuropäische Winter zu überleben; er würde unweigerlich erfrieren, wenn er nicht rechtzeitig etwas unternahm. Er beschloss, andere Vögel um Rat zu fragen und flog auf den nächsten Holunderbaum hoch.
„Guten Morgen!“, sagte er zu einem Rotkehlchen, das mit seiner Brut beschäftigt war.
Das Rotkehlchen sah auf und musterte ihn neugierig. „Ein Papagei! Du siehst ja lustig aus! Was für Knallfarben!“
Fufu ärgerte sich. „Du hast doch auch einen roten Fleck da!“ Er zeigte auf den Hals des Rotkehlchens.
Das Rotkehlchen rief andere Vögel herbei. „Hallo, kommt alle her, hier ist ein Papagei mit ganz vielen Farben!“
Sie kamen alle herbei: Die Amsel Mella, die Meise Charlie und der Grünfink Körnchen und bewunderten den Papagei. „Schöne Farben!“, rief Körnchen anerkennend.
Sie schwatzten eine Weile mit dem Neuankömmling, während Charlie, die Blaumeise, mit schnellen Rundumblicken die Umgebung überwachte. Irgendwo da unten war Kater Billy unterwegs.
„Ich wollte mit euch nicht über meine Farben reden“, sagte Fufu schließlich, „sondern über das Wetter.“
Die Vögel ließen ihren Blick über den sonnendurchfluteten Garten wandern. „Das Wetter ist sehr schön heute“, erklärte das Rotkehlchen, dem nicht klar war, worauf Fufu hinauswollte.
Körnchen sah zum Himmel auf. „Heute Abend könnte es Regen geben, aber das ist gut für uns.“ Er deutete auf ein halbleeres Terrakotta-Vogelbad. „Wir haben ein bisschen wenig Wasser gehabt in der letzten Zeit.“
„Ich meine nicht das Sommerwetter“, erwiderte Fufu, „sondern das Winterwetter.“
„Brrrrrrrrrr!“, rief das Rotkehlchen, „wer denkt denn jetzt an den Winter?“
Aber die Amsel Mella begriff, was Fufu meinte. „Fufu ist ein Papagei ...“
„ ... deshalb auch die Farben ...!“, ergänzte Körnchen.
„... und der überlebt den Winter nicht“, schloss Charlie mit wachsamem Blick auf zwei aufgerichtete Katerohren.
„Oh, wie traurig!“, sagte das Rotkehlchen und sah Fufu bedauernd an.
„Hey, ich bin noch nicht tot!“, protestierte der Papagei. „Ich möchte von euch einen Tipp haben, was ich unternehmen soll!“
Der Tipp hieß Oskar, hatte rote lange Beine und stocherte in einer durchweichten Rheinwiese nach Regenwürmern.
„Hallo Oskar!“
Entsetzt schnellte der Kopf des Storchs nach oben. „Herrgott nochmal! Spinnst du, dich hier so anzuschleichen?“
Zerknirscht erwiderte der Papagei seinen strengen Blick. „Entschuldige bitte, Oskar! Ich heiße Fufu.“ Höflich verbeugte er sich.
Oskar suchte weiter nach Regenwürmern.
„Einen schönen Gruß von Mella und Körnchen!“, sagte Fufu und erzählte, dass sie ihn geschickt hatten. Im Winter sei es zu kalt für ihn in Deutschland und wenn er keinen warmen Platz fände, müsste er sterben.
Den Storch schien das nicht weiter zu interessieren. Er stelzte weiter.
„Oskar?“ Fufu hasste es, wenn jemand so tat, als hätte er ihn nicht gehört.
„Wir fliegen immer nach Afrika über den Winter“, tröpfelte es aus dem Storch. „Da ist es warm.“
„Großartig!“, rief Fufu begeistert. In seinen Ohren klang das nach der Lösung seiner Probleme. „Dann komme ich mit! Wann soll`s losgehen?“
„Ende September.“
Fufu nickte. Im September hatte er nichts vor. „Super, ich bin dabei! Muss ich mich irgendwo eintragen? Ich meine, in eine Liste?“
Überall in Deutschland musste man sich in Listen eintragen, wusste er.
Oskar richtete sich zu seiner vollen Größe auf und rechts und links hing ein Regenwurm aus seinem Schnabel. Ruckartig schluckte er ihn runter. „Hör mal, Bürschchen, Afrika ist Tausende von Kilometern entfernt!“
Fufu traten vor Überraschung die Augen aus den Höhlen. „Tausende von Kilometern? Ist das dein Ernst?“
„Ja! Es ist sehr weit weg.“ Der Storch erzählte, dass die Route über Gibraltar führte.
„Gibt´s keine kürzere?“, stöhnte Fufu und fragte, wann sie zurückkehrten.
„Im Februar.“
Ungläubig starrte der Papagei den Storch an. Im September hinunter und im Januar wieder herauf? Du lieber Gott, lohnte sich das denn?
Afrika war nicht nur weit weg, sondern auch gefährlich, erklärte Oskar. Die Menschen stellten überall Windkrafträder auf und sie nannten sie Vogelschredderanlagen. Flugzeuge waren auch zu viele unterwegs. Alles doppelt und dreifach gefährlich. Und es kostete Kraft. Um zu zeigen, wieviel Kraft, breitete Oskar seine Flügel aus. Ein zarter Hinweis, dass die Expedition für Fufu nicht in Frage kam.
Frustriert betrachtete Fufu die riesigen Flügel des Storchs. „Na toll! Und jetzt?“
Oskar hatte eine Idee. „Flieg zu Eusebio. Das ist ein Uhu, der hat eine Europakarte. Vielleicht kann der dir weiterhelfen!“
„Und wo finde ich diesen Eusebio?“
Umständlich erklärte Oskar ihm den Weg, aber Fufu musste drei Mal nachfragen, bis er wusste, wo der Uhu lebte: Auf einer Burg namens Maus – Fufu musste lachen – 30 Kilometer rheinaufwärts.
Schnell machte er sich auf den Weg, 30 Kilometer waren ganz schön lang, besonders wenn man Gegenwind hatte. Fufu genoss den freien Flug und stürzte mal auf der linken, mal auf der rechten Lahnseite herunter. Einmal setzte sich auf die Reling eines Passagierschiffs. Er kasperte herum und die Touristen starrten ihn mit offenem Mund an und fotografierten ihn. Ein paar versuchten, ihn zu fangen, aber Fufu flog ihnen immer wieder davon und klaute stattdessen auf ihren Tischen ein paar Krümel Kuchen.
Uhus waren nachtaktive Vögel und Eusebio schlief noch, als Fufu endlich auf Burg Maus eintraf. Der Papagei sah die Eiche hoch, in der der Uhu seine Höhle haben sollte. Die Sonne ging im Westen bereits in orangeroten Farben unter und er beschloss, ihn zu wecken. „Eusebio!“, rief er. „Ich heiße Fufu und habe ein Problem, bei dem du mir vielleicht helfen kannst!“
Keine Antwort.
„Schönen Gruß von Oskar, dem Storch!“
Keine Antwort.
„Schon mal einen Papagei gesehen?“
Oben aus dem Loch tauchte das Gesicht eines verschlafenen Uhus auf. „Bist du noch zu retten? Es ist noch nicht mal sechs!“
„Entschuldige!“, erwiderte Fufu genervt. Wie sollte man sich nur die Gewohnheiten all der verschiedenen Vögel merken?
„Zisch ab!“ Der unfreundliche Kerl verschwand wieder in seiner Höhle.
Unschlüssig sah Fufu eine Weile hoch, dann flog er eine Runde über Burg Maus und sah sich ein bisschen die Gegend an. Schließlich kehrte er zu der Eiche zurück. Er musste unbedingt einen Blick auf diese Europakarte werfen.
Verwegen setzte er sich in den Eingang von Eusebios Höhle. „Wegen meinem Problem nochmal!“ Er spähte in das Dunkel hinunter.
10 Sekunden später saß er zwei Stock tiefer auf einem Ast.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst abziehen!“, herrschte Eusebio ihn an.
Flügelschlagend rückte Fufu sein Gefieder zurecht. „Mannmannmann! Ist das ein Grund, so auszurasten?!“
Böse starrte der Uhu ihn an.
„Wenigstens bist du jetzt wach!“, freute sich Fufu und wurde für diese Bemerkung nicht nur von dem Ast, sondern gleich drei Mal um Burg Maus gejagt.
„Das Leben in Freiheit ist schwierig“, dachte er und fragte Eusebio im Flug, ob er etwas zu essen da hätte, er hätte Hunger.
Der Uhu gab auf, drehte ab und setzte sich wieder in den Eingang seiner Höhle.
Rücksichtsvoll nahm Fufu auf der Buche gegenüber Platz. „Johannisbeeren, Brombeeren, Himbeeren!“
„Mahlzeit!“
Ob Eusebio immer so schreckliche Laune hatte? „Auch gern getrocknet!“, fügte Fufu hinzu, falls es daran lag.
Wieder drei Runden um Burg Maus.
Eusebio redete ein ernstes Wörtchen mit Fufu. „Gib mir 20 Minuten, Nervensäge, dann treffen wir uns im Turm von Burg Maus. Ich suche dir die Karte raus.“
Der Papagei war einverstanden und flog glücklich auf das Dach der Burg. Er drehte eine Runde um Burg Katz, und weil es so schön war, flog er auch noch auf die andere Seite rüber.
Er traf als erster im Turm ein. Eusebio verspätete sich, aber er hatte ein Obstkörbchen im Schnabel.
„Fantastisch!“, rief Fufu und stöberte gierig in dem Körbchen. „Danke, Eusebio!“
Der Uhu breitete seine Europakarte über Fufu aus. „Also wohin soll`s gehen?“
Ächzend zog der Papagei seinen Korb unter der Karte heraus. „Wo es warm ist, Eusebio.“
Der Uhu studierte die Karte.
„Wie wäre es hier?“, schmatzte Fufu und deutete auf der Karte nach rechts.
„Polen im Winter? Vergiss es!“
„Und da?“
„Dänemark? Ich bitte dich. Hoher Norden!“
Fufu dachte nach: Eusebio hatte recht. Sie mussten im Süden suchen. „Nach Bayern!“
„Bayern? Klirrend kalt im Januar.“
Fufu fand, dass es nicht mehr allzu viele Möglichkeiten für ihn gab. „Was ist mit der Schweiz? Österreich?“
„Alles kalt. Schnee, Gletscher, ewiges Eis.“
Mit einer Brombeere im Schnabel wanderte Fufus Blick nach Süden. „Italien?“
Eusebio versetzte ihm einen Klapps mit dem Flügel. „Die Alpen sind dazwischen! Schnee, Gletscher, ewiges Eis!“
„Dann klappt es auch nicht mit Griechenland oder der Türkei?“
„DIE ALPEN SIND DAZWISCHEN!“, rief der Uhu in Großbuchstaben.
Fufu fiel um und rollte sich auf den Rücken. „Okay. Dann kann ich mich ebenso gut umbringen.“
Lange prüfte der Uhu die Karte in alle Windesrichtungen. Fufu malte sich währenddessen seinen Tod aus. Seine Fantasie war so lebhaft, dass er schon ganz steif wurde.
Plötzlich zog Eusebio ihn auf die Fensterbrüstung der Burg.
„Fragen wir die Raubvögel! Die kommen viel rum!“ Der Uhu stieß einen Schrei aus, der über das ganze Rheintal schallte.
„Raubvögel? Bist du verrückt geworden? Die fressen Papageien!“ Fufu versteckte sich hinter dem Uhu, aber er beförderte ihn wieder nach vorne.
„Leg mich doch gleich auf einen Teller!“, schimpfte der Papagei und sah einen Mäusebussard, einen Habicht und einen Falken Kurs auf sich nehmen. „Adieu, Welt!“ Fufu schloss die Augen.
Eusebio lachte. „Freunde von mir fressen sie nicht!“
Überrascht riss Fufu die Augen auf. „Freunde?“ Gerührt schaute er Eusebio an, musste sich aber rasch wegducken. Die Raubvögel schossen über ihm in den Turm.
Sie nahmen auf den Dachsparren Platz und sahen ihn feierlich an. „Was ist los, Eusebio? Wer ist der kleine grüne Frosch da?“, fragten sie.
Fufu plusterte sich auf. „Mein Name ist Fu...
Aber der Uhu schob ihn zur Seite, bedankte sich wortreich und die Vögel veranstalteten alle eine Riesenbegrüßungszeremonie. Eusebio schilderte den drei Raubvögeln Fufus Lage und sie flogen zur Brüstung und äugten zum Fenster hinaus. Schließlich zeigten sie nach Norden und nach Süden. „Entweder da rauf oder da runter. Köln oder Wiesbaden.“ Sie erzählten, dass es in den beiden Städten Papageienkolonien gab; in Wiesbaden sogar zwei, eine im Kurpark und eine am Rhein.
Da gab es Papageien wie Fufu: grün mit blauen und roten Streifen.
„Wirklich?“ Aufgeregt sah Fufu sie an. „Keine Kakadus, keine Aras?“
„Nein, kleine Papageien wie du.“
Fufu überlegte: „Also wohin? Süden, huh? Es klingt wärmer.“
Eusebio beugte sich über die Karte. „Also nach Wiesbaden. Da gibt es 21 heiße Quellen. Schön warm im Winter. Das könnte hinhauen, Fufu.“
„Luftlinie über die Loreley und das Kloster St. Hildegard 50 Kilometer“, schätzte der Mäusebussard.
„Acht Stunden Flugzeit“, wusste der Falke.
Das war zu schaffen, fand Fufu.
Aus Freundschaft zu Eusebio boten ihm die Raubvögel an, ihn nach Wiesbaden zu begleiten, aber der Papagei lehnte höflich ab. Nicht, dass er den Raubvögeln misstraute; aber wenn sie unterwegs Appetit bekamen ... nicht auszudenken!
Später auf der Eiche sah Fufu den Uhu fragend an. „Was glaubst du, Eusebio, ob ich da eine Frau finde?“ Er dachte an das Rotkehlchen und die niedlichen kleinen Fresschen, die aus seinem Nest herausgeschaut hatten.
„Bestimmt“, lächelte der Uhu.
„Kann ich dann wiederkommen? Ich meine mit ihr? Nur auf einen Sprung?“
Klar konnte er.
Fröhlich hüpfte Fufu in Eusebios Höhle und rollte sich zum Schlafen ein, während der Uhu endlich auf die Jagd ging.
Morgens frühstückte der Papagei ausgiebig – Eusebio hatte ein paar Feigen vom anderen Rheinufer mitgebracht – und machte sich, nachdem er dem Uhu alles Gute gewünscht und fest versprochen hatte, wieder vor dem Winter vorbeizuschauen – auf den Weg nach Wiesbaden.
Trotz einer kräftigen Nordostbrise im Rücken brauchte Fufu den ganzen Tag für die Reise. Wieder und wieder machte er Rast, um sich zu stärken. Ein Kirschbaum hier, ein paar wilde Brombeeren da. Fufu verflog sich ein paar Mal, dann behielt er scharf das linke Ufer im Auge. Er wollte auf keinen Fall das Schloss mit den Papageien verpassen.
Das Schloss war knallrot angestrichen und er sah es schon von Weitem. Mit letzter Kraft schaffte es Fufu bis zur Promenade und ließ sich ächzend auf dem Geländer nieder. Eine Weile brauchte er, bis er wieder Luft hatte. Dann schaute er staunend auf die Tausende von Wasservögeln, die unterwegs waren: Möwen, Schwäne, Enten, Störche, Milane.
Kein einziger Papagei weit und breit.
Ihm sank das Herz. Was, wenn die Raubvögel ihn hinter`s Licht geführt hatten? Oder es die Papageienkolonien gar nicht mehr gab? Sie sich aufgelöst hatten? Schüchtern erkundigte er sich bei einer Ente, ob sie jemals einen Papagei gesehen hatte. Quakend zeigte sie auf das Schloss. „Hörst du sie nicht? Sie sind ohrenbetäubend.“
Fufu hörte sie auch, sie wurden laut und lauter und plötzlich sah er sie kommen: Über das Dach des Schlosses und dann im Sturzflug zu ihm herunter. Ehe er sich versah, war er von einem Schwarm neugieriger Artgenossen umringt. Sie schrien wild durcheinander und in Panik klappte er nach unten.
„Setz dich wieder hoch!“, befahlen sie. Sie kannten den Trick.
Er gehorchte, setzte sich hoch und blinzelte sie an. Sie sahen wirklich so aus wie er.
Ihr Anführer forderte ihn auf, zu erzählen, woher er kam, wie er hieß und wie alt er war. Und was er für Freunde hatte.
„Oskar, Eusebio ...“, zählte er auf.
Oskar kannten sie nicht, aber Eusebio. Eusebio kannte jeder.
„Ich habe letzte Nacht in seiner Höhle geschlafen!“
Die Papageien prusteten, nannten ihn einen Angeber und stürzten sich kreischend über das Dach des Schlosses zurück in den Park.
Empört sah Fufu ihnen hinterher. Was für ein ungehobeltes Pack! Sie machten nicht den Eindruck, als ob sie ihn in die Kolonie aufnehmen wollten. Aber er selbst wollte auch gar nicht mehr. Beleidigt drehte er sich um und sah einem hübschen Papageienweibchen ins Gesicht.
„Mach dir nichts draus“, lachte sie. „Wir haben Platz, mehr als genug!“ Sie deutete auf eine Eberesche neben dem Schloss. „Das ist unser Schlafbaum. Du kannst zu meiner Familie kommen.“ Sie überlegte. „Wie ist es, wollen wir noch einen Rundflug machen? Da hinten gibt es Aprikosen!“
Verlegen schaute Fufu sie an. Sie hatte ihm bestimmt ihren Namen gesagt, aber er hatte ihn in all dem Papageiengekreisch nicht verstanden.
Lachend flog sie los. „Ich heiße übrigens Lily!“, rief sie.
„Ich heiße Fufu!“, rief er und beeilte sich, ihr hinterher zu kommen.
Fufu:
Text und Bild:
(c) Anobella